UNIVERSITÄT OSNABRÜCK

Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung (NGHM)


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Projektrahmen

Das Ziel des Projekts war es, Ansatzpunkte für eine Aufarbeitung der Verfolgung homosexueller Menschen in Osnabrück 1949-1994 zu ermitteln. Beruhte das Ursprungskonzept auf einer "Aufarbeitung der Verfolgung homosexueller Männer" in der Osnabrücker Stadtgesellschaft - und eben nicht nur durch staatliche Stellen -, erwies sich dies schon in der Planungsphase als zu eng, um die sichtbar werdenden Dynamiken erfassen und einordnen zu können.

Annette Söller*

Und da war auch dieses Thema der Sichtbarkeit immer wieder was, was uns begleitet hat.

Vielmehr wandelte sich die Perspektive erstens durch die Inklusion von Frauen und Männern in den Beobachtungsrahmen und zweitens durch ein Abweichen vom engen Begriff der Verfolgung zum Arbeitsbegriff der Diskriminierung, dem konzeptionell Modelle der Emanzipation gegenüberstanden.

Wie wir am Ende feststellen, prägten sich die Diskriminierungdynamiken vor allem im Kampf um Sichtbarkeit gegen Tendenzen der Verdrängung aus. Ein Großteil der Analyse kreist darum um den Begriff der "Sichtbarkeit". Aus dem Material ergab sich dabei, dass wir trotz anfänglicher Fragen am Begriff der Homosexualität festhielten, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Ausgrenzungs- und Emanzipationsdynamiken schwuler und lesbischer Menschen einzubeziehen. Dabei ist es wichtig zu bemerken, dass in Osnabrück erst gegen Ende des Untersuchungszeitraums stetere Kooperationen zwischen schwulen und lesbischen Initiativen entstanden. Queere und trans-Perspektiven traten uns in den Quellen nur ansatzweise entgegen, sodass uns im Laufe der weiteren Forschung eine Ausweitung auf dieses Feld und bis in die Gegenwart als sehr sinnvoll erscheint.

Arbeitsansatz

Das Projekt arbeitete zweigleisig mit narrativen Interviews und Archivrecherche. Nach einer konzeptionellen Phase Ende 2017 fiel der Schwerpunkt der Recherche in das Jahr 2018, wonach im Jahr 2019 die Datenauswertung, die Visualisierung und das Abfassen dieses Berichts fiel. Neben der wissenschaftlichen Forschung standen zwei öffentliche Veranstaltungen. Erstens war dies eine öffentliche Gesprächsrunde zum Thema „Wie bringt eine Gesellschaft Diskriminierung hervor“ im Rahmen von Gay in May 2018. Diese Veranstaltung, an der neben Interessierten aus der Stadt auch Studierende und Fachkolleg*innen teilnahmen, brachte einen anregenden Austausch, intensivierte die Vernetzung und führte zum Gewinn weiterer Interviewpartner*innen. Zur öffentlichen Diskussion des Arbeitsstands organisierten wir im Januar 2019, zweitens, einen Forschungsworkshop und eine öffentliche Diskussion im Ratssitzungssaal der Stadt Osnabrück. Der Workshop unter Beteiligung führender Forscher*innen zum Thema Homosexualität in der bundesdeutschen Zeitgeschichte zeigte, dass sich dieses Forschungsprojekt sehr gut in die laufenden Forschungen einfügt. Ein Ergebnis war das Bestreben, die vielfältigen Schnittstellen zwischen den kaum vernetzten, aber mit ähnlichen Herausforderungen ringenden lokalhistorischen Studien zum Thema auszubauen. Auf der öffentliche Abschlussveranstaltung präsentierte das Projekt vor der in den Ratssitzungssaal eingeladenen Stadtgesellschaft die Ansätze und erste Ergebnisse und diskutierte diese auf einem Roundtable mit anschließender öffentlicher Diskussion (die NOZ berichtete).

Arbeitsschwerpunkte des Projekts

Das Projekt umfasste somit Archivrecherchen, Interviews und öffentlichen Präsentation für den Transfer bereits während des laufenden Vorhabens. Die Recherche legte dabei den Schwerpunkt auf:

  • Recherche im NLA (OS) und weiteren einschlägigen Archiven (bundesweit),
  • Arbeit mit privat aufbewahrten Archiven zu AHO und Mother Jones,
  • Arbeit mit privaten Sammlungen zu AHO und GSG, 
  • Anfragen an lokale Medien,
  • Anfragen an/Recherchen in relevanten Museen, Sammlungen und Stiftungen.

Daneben war es uns ein Anliegen, mit möglichst vielen Personen unterschiedlichen Alters und Geschlechts ausführlich zu sprechen. Dafür unternahmen wir im Kern Folgendes:

  • Intensive Vernetzungsarbeit vor Ort und in der Forschung,
  • Öffentliche Suche nach Interviewpartner*innen durch Berichte und Anzeigen,
  • Einrichten eines Kontaktelefons,
  • Gespräche mit 30 Personen für weiterführende Hinweise,
  • Führen von 17 lebensgeschichtlichen Interviews.

Unsere Auswertung konzentrierte sich dabei auf folgende Elemente:

  • Ausführliche Quellenarbeit, insbesondere im NLA (OS) und den sehr ergiebigen Beständen der Gruppen,
  • Transkription und codierte Analyse der Interviews,
  • Kartographisches Zusammenführen georeferenzierbarer Daten,
  • Betreuung einer aus dem Projektteam entstandenen historischen Abschlussarbeit,
  • Strukturierung der Daten und Verfassen eines ausführlichen Arbeitstextes,
  • Zusammenfassung der dabei sichtbar werdenden Kernaspekte für diese Projektwebseite.

All diese Arbeit war von Beginn an eng mit dem Transfer verbunden, anfangs vor allem, um überhaupt Gesprächspartner*innen kennenzulernen und im Laufe des Projekts auch immer mehr, um unsere Zwischenergebnisse und Gedanken der Forschung und der interessierten Stadtöffentlichkeit zur Verfügung zu stellen und mit dieser zu diskutieren. Dies beinhaltete unter anderem:

  • Öffentliche Projektvorstellung und -diskussion "Wie bringt eine Gesellschaft Diskriminierung hervor" im Rahmen von Gay in May 2018,
  • Expertenworkshop "Chancen und Herausforderungen einer Zeitgeschichte der Homosexualität" an der Universität Osnabrück im Januar 2019,
  • Öffentliche Diskussion erster Ergebnisse im Ratssitzungssaal der Stadt Osnabrück im Januar 2019,
  • Pressegespräche und -interviews,
  • Projektvorstellung und -diskussion in anderen bundesweiten Forschungszusammenhängen.

Abschließend ist eine Präsentation der Webseite und eine öffentliche Diskussion im Rahmen von Gay in May 2020 geplant.

Ein Zwischenergebnis

Diese Seite präsentiert erste Ergebnisse, die jedoch immer als Zwischenergebnisse zu verstehen sind. Denn vor allem zeigen wir auf den folgenden Seiten eine Art der Annäherung an eine Geschichte der Homosexualität in der Bundesrepublik Deutschland aus lokaler Perspektive und zugleich an die Zeitgeschichte Osnabrücks. 

Die vielleicht wichtigste Schlussfolgerung dieser Pilotstudie ist methodischer Art: Während Geschichtswissenschaft üblicherweise vom Archiv ausgeht und dann nach Bedarf Quellen von außerhalb der Archive, von Periodika bis zu Zeitzeugeninterviews, mit in die Darstellung einbezieht, müssen wir bei diesem Thema nahezu spiegelbildlich vorgehen. Von den Interviews und Privatsammlungen ausgehend entfaltet sich ein Themenkomplex, in dem gewisse Episoden, Begriffe oder auch Namen von Menschen und Organisationen auftauchen, die dann in öffentlichen Quellen sowie in Archiven recherchiert werden können. Somit erweist sich die duale Herangehensweise unseres Projekts als erfolgreich. Ebenso entpuppt sich der dezidiert lokalhistorische Zugriff als produktiv, da sich über diese Vermessung des Gegenstands aus unterschiedlicher Perspektive eine komplexe Geschichte verdichtet, die zugleich räumlich fassbar ist. Zum Abschluss besitzen wir also stichfeste Ansätze und ein methodisches Verständnis dafür, wie man diese Geschichte erforschen kann. Auf der Basis der vorliegenden Quellen und der in diesem Projekt möglichen Auswertung können wir darum auch beispielhafte Ergebnisse formulieren. Diese verstehen wir jedoch als Teil eines laufenden Arbeitsprozesses, weswegen wir für Anmerkungen, Korrekturen und andere Rückmeldungen sehr dankbar sind.

Aufbau des Berichts

Um diesen Zwischenbericht zum Abschluss dieser Förderphase der Öffentlichkeit möglichst einfach und anschaulich zugänglich zu machen, haben wir uns für eine Webseite entschieden. Dabei verzichten wir zugunsten der Lesbarkeit weitgehend auf Literaturverweise und den üblichen wissenschaftlichen Apparat. Eine Ausnahme sind direkte Zitate oder unseres Erachtens maßgebliche Verweise, die wir direkt an Ort und Stelle in Klammern anfügen oder, wenn möglich, als Link einbetten.

Neben dieser Webseite arbeiten wir an Möglichkeiten der Vertiefung unserer Forschungen zum Thema. Dies beinhaltet einerseits weitergedachte Forschungsprojekte und eine vertiefende Monographie. Diese wird deutlich umfangreicher sein und an vielen Punkten, die hier nur angerissen werden können in die Tiefe gehen. Auch werden zahlreiche hier nicht berücksichtigte Aspekte darin diskutiert werden, inklusive eines entsprechenden wissenschaftlichen Apparats nebst Fußnoten für weitergehend Interessierte.

Das Ziel dieser Webseite ist es, die Frage der Quellen zu diskutieren und unsere Schlussfolgerungen im Laufe der Arbeit zu präsentieren. Vor allem aber stellen wir auf der Basis eines Kapitels zum allgemeinen historischen Hintergrund in drei Großkapiteln erste Ergebnisse der Auswertung der Öffentlichkeit zur Verfügung.

Um zu belegen, wie zentral diese Geschichte für die weitere Stadtgeschichte Osnabrücks ist, beginnen diese drei Kapitel jeweils mit einer kartographischen Visualisierung homosexuellen Lebens in der Stadt. Dem folgen einzelne Unterkapitel, die diese Darstellung durch Berichte ergänzen. Dabei sehen wir erstens, dass die Unsichtbarkeit homosexuellen Lebens in Osnabrück vor 1969 produziert war. Daran schloss zweitens eine Phase des Suchens an, an deren Ende erste Institutionalisierungen entstanden, die dann ab 1983 die dritte Phase bis zur Abschaffung des §175 im Jahr 1994 prägten. Diese Beobachtungen runden wir abschließend mit einigen Schlussfolgerungen ab. Damit intendieren wir auch, am empirischen Material eine Richtung aufzeigen, in die wir eine weiterführende Erforschung der Geschichte der Homosexualität in Osnabrück und vergleichbaren Städten gerne führen würden.

  • Zum nächsten Unterkapitel: Quellen und Methode

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