UNIVERSITÄT OSNABRÜCK

Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung (NGHM)


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Quellen und Methode

Dem Projektkonzept entsprechend standen in unserer Arbeit Archivrecherche und Interviews in einem steten Wechselverhältnis. Über den ursprünglichen Antrag hinausgehend konnten wir zudem umfangreiches Quellenmaterial sichern, zusammenführen und ansatzweise auswerten. 

Quellensammlungen

Eine uns im Laufe der Recherche aus Privathand übergebende Sammlung an Broschüren und Journalen (Projektarchiv VHM)

Glücklicherweise gelang es uns trotz anfänglicher Rückschläge eine große Zahl an lokal bedeutsamen Quellen zu recherchieren. Ausgangspunkt war die Arbeit im Niedersächsischen Landesarchiv, Abteilung Osnabrück (NLA OS), die später genauer beleuchtet wird. Aufgrund der hier nur begrenzt aussagekräftigen Bestände war es von größter Bedeutung, dass wir vertrauensvoll freien Zugriff auf eine Zahl anderer Sammlungen erhielten. Darunter sind vor allem die uns zugänglich gemachten Gruppenarchive der AHO inkl. Gay in May, von Mother Jones, sowie aussagekräftige Privatsammlungen besonders erwähnenswert. Daneben war die Arbeit im schwul-lesbischen Archiv Hannover, im schwulen Museum Berlin und im digitalen Frauenarchiv erfolgreich.

Die ausführlichen Interviews der Magnus-Hirschfeld-Stiftung enthalten für unsere Fragestellung allerdings keine passenden Quellen. Aus diesem Grund stellten selbst geführte Interviews das Rückgrat unserer Untersuchung dar.

Interviews

Denn diese Geschichte ist nicht allein durch die Überlieferung in archivierten und öffentlichen Quellen erzählbar. Es braucht die Stimmen der Betroffenen und der Akteure aller Seiten.

Diese sind kompliziert zu gewinnen, sei es aufgrund des Alters der Personen oder persönlicher Zurückhaltung, über das Thema zu sprechen. Das Schweigen der Betroffenen stellt nicht nur Projekte zur Aufarbeitung der Verfolgungsgeschichte, sondern auch politische Maßnahmen, wie die laufenden Entschädigungsverfahren, vor große Herausforderungen. 

Dank Vernetzung und öffentlicher Aufrufe erfreute sich unser Projekt guten Zuspruchs und einer überdurchschnittlichen Zahl an Menschen, die oft trotz anfänglicher Bedenken bereit waren, uns ihre Geschichte und Perspektive zu Protokoll zu geben. Im Projekt standen uns 30 Ansprechpartner*innen mit Hintergrundgesprächen, wichtigen Hinweisen und ausführlichen Erklärungen zur Seite. Einige davon verfügten zwar über passende Informationen und Kenntnisse, lebten aber zum fraglichen Zeitpunkt noch nicht in Osnabrück. Die Auswahl der interviewten Zeitzeugen beschränkte sich darum auf Personen, die zwischen 1949 und 1994 in Osnabrück lebten, die in bedeutsamer Form in Berührung mit dem Thema Homosexualität in Osnabrück kamen.

Methodik

So führten wir 17 Interviews, eines davon aus forschungspragmatischen Gründen fragebogengestützt, die anderen 16 als narrative Interviews, also oft stundenlange Gespräche über das Leben und Erleben von Homosexualität in der Stadt. Diese Interviews folgten dem lebensgeschichtlichen Modell ohne Leitfaden oder Fragebogen. Vielmehr sind solche Interviews methodisch darauf ausgelegt, dass die Interviewten selbst den Kurs des Gesprächs und dessen Schwerpunkte bestimmen, teilweise sanft ergänzt durch Fragen der Interviewenden. Dazu gehört auch, dass die Interviewten die Ortswahl übernahmen.

Das Ziel eines solchen Vorgehens ist es nicht, den Fragenkatalog der Forscher*innen abzuhaken, sondern bereits methodisch eine Atmosphäre des emphatischen Zuhörens zu sichern, in denen die Forscher*innen sich auf die Erinnerungen und Einordnungen durch die Gesprächpartner*innen einlassen. Den Interviewten war das Thema des Projekts bekannt, da diesen Interviews Informationsveranstaltungen und individuelle (oft telefonische) Vorbereitungsgespräche vorausgingen. Fast alle der Gesprächspartner*innen führten ihr erstens derartiges Interview. So war es ein wichtiger Teil der Arbeit, dem verbreiteten Gefühl, dass man nichts zu sagen habe, entgegenzutreten, da uns ja gerade die Alltagserfahrungen interessierten.

Um eine freie Erzählung zu ermöglichen, wurden diese Interviews allesamt anonymisiert. Den Personen wurden dabei passende und zufällig passende generierte Pseudonyme zugeordnet, die im Text durch ein * hinter dem Namen zu erkennen sind.

Eine Sammlung unterschiedlichster Erfahrungen

Auf dieser Basis sprachen wir mit 11 Männern und 6 Frauen. Von diesen bezeichnen sich 14 als homosexuell und drei nicht. Diese langjährigen Osnabrücker*innen kommen aus diversen Kontexten der Stadt: Bürger*innen, erfahrene Aktivist*innen, Landwirt*innen, Anwält*innen, Künstler*innen, Pastor*innen, uvm. Von diesen wurden sechs bis 1947 geboren; davon fünf in den 1930er Jahren. Sie erlebten die Strafrechtsreform von 1969 also als Erwachsene. Eine zweite Kohorte von sechs Personen wurde bis 1957 geboren, bei Ihnen fiel die Strafrechtsreform damit in die Zeit der sexuellen Prägephase. Schließlich stellen fünf zwischen Anfang der 1960er Jahre bis 1967 geborenen Personen die jüngste Gruppe der Interviewten, deren prägende Bezugspunkt sämtlich im Rahmen der Emanzipationsbestrebungen ab den 1970er Jahren lagen.

Da diese Personen im laufenden Text nicht jedes Mal erneut eingeführt werden, bieten wir hier eine Liste der nach Altersstufen gruppierten Personen mit Pseudonym an.

              AltersgruppeGeburtsjahrePseudonym
Kohorte 11931-1947Stefanie Bruckmann*, Ines Eisenberg*, Karina Werle*;
Wilfried Bergner*, Lennard Germroth*, Wolf-Dieter Pfister*;
Kohorte 21950-1957Erica Polzer*, Melanie Schulte*;
Rolf Grüttner*, Dierk Gutsche*, Reinhold Keplin*, Friedrich Kerpen*;
Kohorte 31960-1967Annette Söller*;
Henry Bunge*, Albert Leuck*, Kurt Mühlenschulte*, Andreas Rehm*.

Keine dieser Personen wurde nach §175 o.ä. verurteilt und nur wenige erwähnen, mit Verurteilten in Kontakt gekommen zu sein. Vielmehr beschäftigt fast alle das Schweigen der älteren Generation und die Wirkung des §175 auf homosexuelles Leben, ohne dass der Paragraph konkret zur Anwendung kommen musste. So finden wir in ihren Berichten kaum Aussagen zu strafrechtlicher Verfolgung, aber viele Wege, in einer exkludierenden Stadtgesellschaft zu navigieren. Recht, so eine Schlussfolgerung, wirkte vor allem weich – dafür aber langfristig.

©VHM (2020)